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Waldkater
 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Herren in Gehröcken, weißen und bunten seidenen Westen, mit Zylinder, Steifhut oder Sonnenblume und hohem Stehkragen. So schritten sie gravitätisch neben den Damen einher. Die wirbelten mit ihren langen Röcken, die mit breiten Rüschen besetzt waren, recht viel Staub auf, der manchmal zum Gesprächsstoff wurde, wenn die weißen oder rosa Rüschen einmal eine verdächtig grüne Färbung aufwiesen. Die überschlanken Taillen waren in einem Fischbeingestell eingezwängt. Auf dem blonden Köpfchen saßen blumenübersäte wagenradgroße Hüte. In den zarten weißen Händen hielten die Damen graziös ihre in bunten Farben schillernden Sonnenschirme. Ihre kleinen Füßchen schauten kaum einmal ein wenig unter den langen Röcken hervor. Man sagt, daß ein Dichter damals am "Waldkater" die Verse geformt habe: "schade, schade, ewig schade, daß so manch schöne Wade ein zu langer Rock bedeckt."

Bei den Spaziergängen gab es Durst. Aus diesem Grunde beantragte Herr Baehr im Jahre 1897 die Schankerlaubnis, die er auch erhielt. Von nun ab verkehrten Neudammer aller Bevölkerungsschichten in der neuen Schankwirtschaft mit dem großen Waldpark. Mit Musik marschierten die Vereine hinaus, um dort ihre Feste zu feiern. Die damals in großer Mode gewesenen Radfahrervereine kehrten dort ein. Die Mitglieder sahen schmuck aus mit ihren weißen Hemden, langen weißen Strümpfen und Pluderhosen. Keck saßen die Radfahrermützen auf einem Ohr. Das war schon so etwas wie Witterung einer neuen Zeit. Die Firma Mechler hatte ein Fahrrad mit sechs Sitzen konstruiert. Prominente Neudammer fuhren damit zum "Waldkater" und zeigten das "Wunder der Technik" der großen Welt eines kleinen Städtchens. Der Radfahrerverein 1888 versammelte sich dort regelmäßig, ebenso der Verein "Gut Leib", der, wie schon der Name sagt, großen Wert auf Pflege des Körpers hielt. Neudammer, die nicht mindestens zwei Zentner wogen, so erzählte man uns, wurden nur ausnahmsweise aufgenommen.

 

In froher Stunde geboren

Der letztgenannte Verein schritt eines Tages in froher Zecherlaune zur Namengebung. Nach kurzer lebhafter Beratung erhielt die neue Waldschenke die Bezeichnung "Waldkater", die sie bis auf den letzten Tag trug.

 

Hier können Familien Kaffee trinken

Immer zahlreicher wurde die Besucherzahl in diesem schön gelegenen Restaurant. Frau Baehr sorgte als freundliche Wirtin für Erfrischungen. Der beliebteste Kapellmeister unseres Städtchens, Otto Herrmann, hielt durch beschwingte Melodien, die heute meist vergessen sind, die Stimmung hoch. Auf dem Pariser wurde getanzt. Während die Damen sich bei Kaffee und Kuchen, wohl auch Erdbeeren mit Schlagsahne, gütlich taten, sprachen die Männer dem kühlen Bier und anderen alkoholischen Getränken reichlich zu. Daraus ergab sich wieder die Notwendigkeit, für Gäste, denen es am späten Abend schwer wurde, den langen Heimweg zu Fuß zurück zu gehen, eine Fahrgelegenheit zu schaffen. Die Eisenbahnverwaltung hatte Einsicht und richtete eine Haltestelle am "Waldkater" ein. Eine Überdachung wurde an der Bahnstrecke erbaut und die unermüdliche Mutter Baehr musste neben ihren vielen Arbeiten nun auch noch Fahrkarten verkaufen.

Immer neuen Auftrieb erhielt dadurch wieder die Waldschenke. Jeden Mittwoch fand eine große Kaffeetafel statt, bei der selbstverständlich in Damenkreisen die Ereignisse der Woche durchgesprochen und kritisch beleuchtet wurden. Mütter knüpften hoffnungsvolle Verbindungen an. Doch die Söhne und Töchter der damaligen Generation durchkreuzten bei den italienischen Nächten, die von Zeit zu Zeit mit bunter Lampionbeleuchtung am "Waldkater" stattfanden, die fein ersonnenen und gesponnenen Pläne der alten Herrschaften gerade so wie heute. So mancher Bund fürs Leben wurde hier geknüpft. An den Einsegnungstagen machten die Konfirmanden und Konfirmandinnen unseres Städtchens ihren ersten gemeinsamen Ausflug zum "Waldkater". Im Schatten der Buchen und Eichen träumten sie von Zukunft und Glück. Glanz und Blütezeit des "Waldkaters" sind vergangen. Die ehemaligen begeisterten Gäste dieses Waldlokals führen nun längst ein beschauliches Dasein im Silberhaar, Wenn aber ein ehemaliger Neudammer nach vielen Jahren wieder einmal in sein Heimatstädtchen kommt, dann versäumt er nie, zum "Waldkater" hinauszuwandern und sich in der Einsamkeit zurückzuversetzen in die herrlichen Tage der Jugend und mit Mutter Baehr, die selbst nun als Gast, von Zeit zu Zeit hier bei ihrem Sohn einkehrte, zu plauschen. E.W.

"Kein Glanz ist schöner, ohne Frage, als der der fernen Jugendtage."